Leitomischl, an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren. Hier lebt und arbeitet der aus niederen Verhältnissen zu bescheidenem Wohlstand gelangte fürstliche Brauereipächter František Smetana mit seinen zehn Töchtern. Am 2. März 1824 wird ihm schließlich von seiner seine dritten Frau Barbora der ersehnten Stammhalter geboren, den er stolz auf den Namen Friedrich taufen lässt. Es sollte nicht das letzte Kind sein: Friedrich ist das elfte von insgesamt 18 Kindern. Als wohlhabende, bürgerliche Familie wird Friedrich deutschsprachig erzogen. Allerdings ist er kein guter Schüler. Mehrmals musst er wegen seiner mangelhaften Leistungen vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern die Schule wechseln, und statt Hausaufgaben zu machen, verbringt er seine Zeit lieber mit Musizieren, Theaterspielen oder ähnlichen Dingen. Das ändert sich auch nicht, als er 1839 auf das berühmte Akademische Gymnasium in Prag wechselt. Erst als sein Vetter, der Pilsener Historiker Josef Franz Smetana (1801-1861) seine Betreuung übernimmt, gelingt es Friedrich im Jahre 1843 die Schule erfolgreich abzuschließen.
In Prag kommt Friedrich Smetana aber auch in engeren Kontakt mit der zweiten Generation der tschechischen „Erwecker“, die bereits seit den dreißiger Jahren für die Gleichberechtigung von Tschechen und Deutschen eintreten. Die Prager Pfingstunruhen von 1848 sorgen schließlich entgültig dafür, dass auch Friedrich Smetana beschließt, dass Tschechisch fortan „seine“ Sprache ist. Er beginnt, sie eingehender zu lernen und änderte seinen Vornamen bewusst zur tschechischen Namensform Bedřich – auch wenn er in der Folge seine Heimat für ein paar Jahre verlassen muss und nach Schweden geht.
Es dauert noch ein paar Jahre bis aus ihm DER tschechische Nationalkomponist wird, aber spätestens die Uraufführung seiner sechsten Oper „Der Kuss“ im November 1876 ist er es. Er wird gefeiert wie kein anderer tschechischer Komponist vor und nach ihm. Aus zahlreichen Gemeinden in Böhmen und Mähren treffen Telegramme ein, in denen Smetana zum Ehrenbürger erklärt wurde, und anlässlich dieser Ereignisse wird Smetana auch zum ersten Mal öffentlich als „Begründer der tschechischen Nationalmusik“ bezeichnet. Dazu beigetragen hat auch sein Orchester-Zyklus „Má Vlast“ (Mein Vaterland), der mit seinen sechs Teilen Mythen, Landschaften und Geschichte seiner tschechischer Heimat beschreibt und dessen berühmtester Teil die symphonische Dichtung „Vltava“ (Die Moldau) als Nr. 2 des Zyklus‘ ist. Glücklicherweise gibt Smetana selbst dem Werk eine Programmbeschreibung mit:
„Die Komposition schildert den Lauf der Moldau, ihre ersten beiden Quellchen, die kalte und die warme Moldau, die Vereinigung der beiden Bächlein zu einem Strom, den Lauf der Moldau über die weiten Wiesen und Haine, durch Gegenden, wo die Bewohner gerade fröhliche Gelage feiern; im nächtlichen Mondschein führen Wassernymphen ihren Reigen auf; auf nahen Felsen steigen ehrwürdige Burgen, Schlösser und Ruinen empor. Die Moldau wirbelt in den Stromschnellen zu St. Johann; strömt in breitem Flusse weiter Prag entgegen. Der Vyšehrad taucht an ihrem Ufer auf. Schließlich ergießt sie sich in der Ferne in majestätischem Flusse in der Elbe.“
Aber die besondere Bedeutung der symphonischen Dichtung „Vltava“ und des Zyklus‘ „Má Vlast“ liegt nicht in der genialen Umsetzung dieses Programms. Bedřich Smetanas Zyklus ist die schönste Heimatmusik, die je geschrieben wurde. Das ist ohne jede Ironie gemeint. Denn bei diesem Komponisten heimattümelt es nicht. Hier wird das eigene Land in seinen vielen Facetten – Mythen, Geschichte, Natur – besungen. Ohne Parteilichkeit, ohne Separatismen. Eine Welt, in der „Tschechen“ und „Deutschböhmen“ friedlich miteinander leben können. Smetana, Heimkehrer aus dem schwedischen Exil in eine von den k. u. k. Habsburgern unter der Knute gehaltene Welt, war der richtige Mann für tschechische Selbstfindung, zumindest auf musikalischem Feld. Damit wurde er zum Vorbild für kommende Generationen. Wie schwärmte Leos Janacek noch Jahrzehnte später: „Meine Erinnerung an Bedrich Smetana gleicht der Vorstellung, die Kinder vom lieben Gott haben: Sie sehen ihn in den Wolken.“